Dem Internet sei Dank ist heute alles transparent und messbar. Beinahe zumindest. Online werden immer mehr Inhalte im und aus dem «Dark Social» geteilt, ein nebulöser Ort für viele Werbetreibende. Warum das Thema als einer der grössten Webtrends für die kommenden Jahre gilt, thematisieren wir in diesem Blogbeitrag.
Blasshäuter wie ich wissen: So ein Schattenplätzchen hat was Reizvolles – ungestört verweilen während die Masse in der Sonne brutzelt. Eine ähnliche Tendenz ist momentan online zu beobachten. Während soziale Netzwerke als öffentliche Orte des Austauschs von Online-Marketer für ihre Transparenz gefeiert werden, erhebt sich geradezu stillschweigend eine Schattenkultur. Das sogenannte «Dark Social» dämpft die Euphorie vieler Werbetreibender, denn immer mehr Inhalte werden anonym konsumiert und geteilt. Absolute Zahlen sind nicht mehr aussagekräftig denn trotz fortgeschrittener Technik und beinaher unlimitierten Analysetools zeigen die Messwerte nur noch einen Bruchteil dessen an, was der Realität entspricht. Ist Social Media etwa das nächste Opfer der Takeaway-Bewegung?
Die Entstehung des Dark Socials
In seiner Existenz bezeichnet das Dark Social die Gesamtheit an nicht oder schwer messbarem Datenverkehr: Ein auf WhatsApp geteiltes YouTube-Video oder das Teilen eines Facebook-Beitrags in einer geschlossenen Gruppe oder Privatnachricht. Diese geschlossenen – um nicht zu sagen privaten – Umgebungen erschweren Unternehmen und Institutionen die Einsicht in die tatsächichen Nutzerzahlen. Der Datenverkehr wird quasi anonymisiert; es ist daher auch von «Dark Traffic» die Rede. Zwar sind die betroffenen Netzwerke in ihrer Art und Weise alle «social», Dark Social oder Dark Traffic gehen aber viel weiter und sind nicht per se eine reine Social-Media-Angelegenheit. Quellen beinhalten:
- E-Mails
- Instant Messenger wie WhatsApp, der Facebook Messenger oder Snapchat
- Native Mobile Apps wie Facebook oder Instagram (auch Gruppen)
- Klassische Textnachrichten auf den Smartphones
- Secure Browsing (vom Klick von HTTPS auf HTTP wird der Referrer nicht weitergeleitet)
Für ihren Auftraggeber, die amerikanische Zeitschrift «the Atlantic», quantifizierte das Content-Intelligence-Unternehmen Chartbeat 2012 den anonymen Datenverkehr erstmals. Mehr als die Hälfte aller Inhalte stammte aus unbekannten Quellen, die jedoch ein prägnantes Merkmal aufwiesen: Es schien, als würde eine Vielzahl Nutzer Links folgen, die offensichtlich zu lange waren als das sie jemand eintippen würde – ein Klick über eine nicht identifizierbare Plattform muss die Herkunft gewesen sein.
«These people, they figured, were following some sort of link because no one actually types „http://www.theatlantic.com/technology/archive/2012/10/atlast-the-gargantuan-telescope-designed-to-find-life-on-other-planets/263409/.“ They [Chartbeat] started counting these people as what they call direct social.» (Alexis C. Madrigal)
Jounalist und Data-Nerd Alexis C. Madrigal war von dieser Erkenntnis über seinen Arbeitgeber dermassen angetan, dass er seine schreiberischen Fähigkeiten fortan nutzte, um nicht nur den Namen zu pimpen (weil er ihn zu lahm fand), sondern das Thema zu propagieren. Das Dark Social war geboren.
Ein Trend, aber keine Neuheit
Madrigals Definition und Namensgebung ist aber nicht primär Ausdruck seiner Selbstverwirklichung, sondern zeigt, dass die Verbreitung des schwer messbaren Datenverkehrs tatsächlich eine soziale Komponente hat. Wer die 90er und frühen 00 als Teenager verbrachte, erinnert sich an das Aufkommen von Chatrooms oder die damaligen Instant-Messenger-Dienste wie ICQ oder dem MSN-Messenger. In geschlossenen Umgebungen interagierte man damals schon mit ein oder mehreren Personen und trug somit wesentlich zu den Anfängen des Dark Socials bei. Auch in den Anfangszügen von Social Media mit MySpace, meinetwegen auch StudiVZ, wurde z.B. durch Privatnachrichten massig Dark Traffic produziert. Und erzählt mir jetzt nicht, dass die Funktion nicht für eure ersten virtuellen Flirtversuche herhalten musste. Insofern ist Dark Social kein Novum, sondern eher als Entwicklung anzusehen, die getrieben durch die Messbarkeit der Daten und die damit verbundenen Marketingmöglichkeiten seinen eigentlichen Ursprung fand.
The Future is dark
Obwohl es sich beim Dark Social nicht um eine Neuheit handelt, ist es als ernstzunehmender Trend zu verstehen. Aktuell wird der Anteil der referenzierten Websites aus dem Dark Social auf 84 Prozent geschätzt (Quelle: RadiumOne). Diese Entwicklungen bergen Chance und Herausforderung zugleich, denn während die Nutzung von Mobilgeräten und Instant-Messenger-Diensten wie WhatsApp und Messenger steigt, nehmen die öffentlichen sozialen Interaktionen auf Facebook und Co. immer mehr ab (Quelle: Statista).

Heisst das für Unternehmen und Institutionen, dass sie künftig mehr auf Dark Social setzen sollten? Ja und nein. Grundsätzlich gilt es die Bedürfnisse seiner Community zu kennen und dazu gehört auch deren Nutzerverhalten. Lösungen, dem nicht messbaren Datenverkehr entgegenzuwirken gibt es bereits: So versprechen Tracking-Apps, Link-Shortener-Dienste oder besser integrierte Share-Funktionen eine gewisse Linderung. Viele der genannten Plattformen des Dark Socials sind aber nicht als Werbeplattformen zu verstehen – rein technisch ist das Dark Social daher nicht in die Knie zu kriegen.
Werbung im Wohnzimmer
In seinem Artikel spricht Madrigal ein sensitives Thema an:
«The only real way to optimize for social spread is in the nature of the content itself. There’s no way to game email or people’s instant messages. There’s no power users you can contact. There’s no algorithms to understand. This is pure social, uncut.»
Obwohl klar ist, dass das Dark Social für Werbetreibende immense Chancen bildet ist hier mit klassischen Marketingbotschaften im Push-Verfahren nichts zu reissen. Im Dark Social befinden wir uns quasi im Wohnzimmer der Userinnen und User, Verkaufsgespräche sind hier tabu. Oder bittet ihr die Missionare, die an eurer Haustüre klingeln auch gleich ins Wohnzimmer, um über Gott und die Welt zu reden? In der wenigen Zeit, die uns zur Verfügung steht, selektieren wir gezielt, welche Botschaften für uns relevant sind und welche nicht. Wie auch im Content Marketing geht es im Dark Social darum personalisierte Inhalte zu entwickeln, die Userinnen und User langfristig an euer Vorhaben bindet. Marken werden Teil ihrer Community, verstehen ihre Anliegen und schauen nach Möglichkeiten, den Dialog innerhalb der Gemeinschaft zu fördern. Hierbei können auch Multiplikatoren oder Kooperationen helfen. Ist diese Erkenntnis angekommen, ist das Dark Social als Chance zu verstehen und dann und nur dann entsprechen die Inhalte auch dem Charakter des Mediums: einem vertrauen Gespräch auf Augenhöhe, das ihr so auch in eurem Wohnzimmer führen würdet.
Lesenswert
- «Dark Social: We Have the Whole History of the Web Wrong» von Alexis C. Madrigal
- «The Power of Sharing Data» von RadiumOne
- «The Darks Side of Mobile Sharing» von RadiumOne