Memes – Rettung der Chaosjugend?

Was wäre eine Welt ohne Memes? Das virale Internetphänomen hat sich über die Jahre zum festen Bestandteil der Netzkultur etabliert. Doch wo genau kommt der Hype her und wie geht man im beruflichen Kontext mit den ulkigen Dingern um? Eine vorausschauende Retrospektive.

Manch einer realisiert nicht, wie vielen Memes wir tagtäglich ausgesetzt sind. Klassischerweise als Bilddatei formatiert mit Text ober- sowie unterhalb des Motivs wurden Memes so richtig populär. Heutzutage besticht das Online-Format durch seine Multimedialität und Vielseitigkeit – ob Tiere, Videos, Smileys, Gesichtsausdrücke, Comics oder GIFS, Memes sind Ausdruck der heutigen Netzkultur.

Identität, Hype und Kulturgut

Falls ihr euch schon immer gewundert habt: Das Wort Meme – ausgesprochen «Mihm» – stammt von Evolutionsbiologe Richard Dawkins und reicht zurück ins Jahr 1976. Was heute als populäres und humorvolles Online-Format bekannt ist, offenbart seinen Zweck im Ursprung: In der Tier- und Pflanzenwelt beschreibt das Wort «Mimikry» die Fähigkeit, sich durch eine Nachahmung oder Angleichung vor einer Gefahr zu schützen. Im Altgriechischen bezeichnet das Wort «mimema» etwas Imitiertes. Humor als Waffe zum Eigenschutz? Kommt mir irgendwie bekannt vor. Anyway, eine kontemporäre und meiner Meinung sehr treffende Definition der heutigen Memes stammt von Patrick Davison:

«An Internet meme is a piece of culture, typically a joke, which gains infuence through online transmission.»

So simpel und einfach Davisons’ Definition, so treffend ist sie auch. Denn was 1982 vom Meme-Gründervater Scott E. Fahlmann mit einem Smiley begann, endete in einem immateriellen Kulturgut, das für jüngere Gesellschaftsschichten ein absolutes Selbstverständnis darstellt.

Die fehlende Wertschätzung des Humors

Was in der persönlichen Nutzung digitaler Medien heutzutage als gesellschaftlicher Norm bezeichnet werden kann, wird im beruflichen Kontext oft mit viel Skepsis aufgenommen. Bei strategischen oder inhaltlichen Beratungsmandaten stelle ich immer wieder fest, wie Memes von Firmen und Institutionen als banal oder irrelevant dargestellt werden. Sicherlich brilliert nicht jedes Meme durch seine intelligente Kontextualisierung, dennoch wäre eine kategorische Ablehnung an dieser Stelle falsch. Auch wird in diesen Situationen die eigentliche Grundhaltung deutlich: Konsumier unsere Inhalte wie du sie von uns serviert kriegst oder lass es bleiben. Et voilà, schon haben wir die Hauptursache, warum heutzutage viele Online-Präsenzen scheitern – sie ignorieren die tatsächlichen Bedürfnisse der Online-User. Bereits 2007 bezeichnete Limor Shifmann Humor als integralen Schüssel für das Verständnis sozialer und kultureller Prozesse. Diese Prozesse müssen auch im beruflichen Kontext verstanden und gelebt werden. In seinem Buch «Children of Chaos: Surviving the End of the World As We Know It» bezeichnet Douglas Rushoff das Internet als chaotischen Medienraum, in welchem jedermann in der Lage sein sollte, Inhalte zu rezipieren. Es ist das Zuhause der «Kinder des Chaos» wo immense Informationsfluten bewältigt und Inhalte produziert werden. Insofern sind genau sie es, die als Treiber dieser sozialen und kulturellen Veränderungsprozesse anzusehen sind und verdienen deshalb nicht weniger als unsere volle Aufmerksamkeit.

Eine Wissenschaft der Trivialität

Wir stellen fest: So selbstverständlich Memes für heranwachsende Gesellschaftsschichten sind, so fremd sind sie für andere. Zweifelsohne hat dies mit einem oft fehlenden Verständnis gegenüber dem Online-Format zu tun. Aber dem lässt sich glücklicherweise Abhilfe schaffen! Erinnert ihr euch an das Periodensystem, das ihr für euren Chemieunterricht fleissig auswendig lernen durftet? Ein solches System existiert ebenfalls für Memes und klassifiziert sie in so genannte «Advice Animals». Diese Tabelle kategorisiert unterschiedliche Memes in ihrer Bedeutung und klärt ihre Aussage. Darunter sind bekannte Grössen, wie etwa «Scumbag Steve», der «Philosoraptor» oder das «Forever-Alone-Smiley».

Advice Animals

Download: https://knowyourmeme.com/blog/white-papers/visual-analysis-advice-animals

Wird man sich also erst einmal der Bedeutung eines Memes bewusst, wird deutlich, wie viel Kreativität und Grips den Produzenten zugemutet werden kann. Denn produziert werden Memes millionenfach – nur die Besten gehen auch viral. Im Subreddit r/AdviceAnimals (mit 5,3 Millionen Abonnenten) werden tagtäglich Memes diskutiert und produziert. Weitere meme-relevante Plattformen wie imgur mit 250 Millionen und 9GAG mit rund 40 Millionen User machen klar, wie populär die viralen Online-Formate tatsächlich sind.

Zwischen Satire und Macht

Mit der Erkenntnis, dass alles und jeder «memefiziert» werden kann, öffnen sich ganz neue Wege, seine Message an den Online-User zu bringen. Wir erinnern uns zum Beispiel an Chris Crocker und sein «Leave Britney alone-Aufruf» oder die Vielzahl an Trump-inspirierten Memes, die ihren Ursprung während den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2016 fanden. In ihrer Wirkung lassen Memes demnach Persönlichkeiten entstehen, die ihre eigene Agenda verfolgen oder thematisieren bestehende Persönlichkeiten durch ihren humorvollen und oft satirischen Ansatz. Das funktioniert in der Politik genauso wie im kommerziellen Sektor.

Meme_Trump
Foto: Trump-Memes vor dem Weissen Haus

Interessant ist, dass die Meinungen über solche online-generierten Stellungnahmen auseinandergehen – es ist von «Slacktivismus» die Rede. Kritiker behaupten, die Verbreitung von Online-Erzeugnissen wie Memes, dienen lediglich der partizipativen Befriedigung und trügen wenig zur Klärung der Sache bei. Eine Studie vom Centre for Social Impact Communication (CSIC) der Universität Georgetown und Ogilvy Worldwide beweist jedoch das Gegenteil: Personen, die sich im Slacktivismus engagieren, bewirken mehr als Nicht-Slacktivisten.

Welche Sprache sprichst du also?

Erinnern wir uns nochmals an Rushoffs’ Theorie der Chaosjugend und gehen davon aus, dass heranwachsenden Generationen eine für sie vertraute – zweifelsohne durchs Web beeinflusste – Sprache bevorzugen. Sollten wir als Entscheidungsträger dann gegenüber den Online-Formaten nicht etwas aufgeschlossener sein? Gerade bei schwer zu vermittelnden Themen oder für junge Bevölkerungsgruppen unpopuläre Themen können vertraute Online-Formate Wunder bewirken. Nicht überzeugt? Dann schau dir mal den Instagram-Kanal von «Classicalfuck» an sowie die Art und Weise, wie hier Kunst und Kultur vermittelt wird. Zweifelsohne zählt die Hochkultur nicht zu den primären Interessensfeldern junger Menschen (siehe Birgit Mandels’ Buch «Interkulturelles Audience Development»). Sind in diesem Fall «neuartige» Vermittlungsformen und Online-Formate wie Memes nicht ein potenzieller Weg, um zu den jungen Leuten durchzudringen? Ich glaube in diesem Fall spricht die halbe Million Follower für sich.

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